Hier findet ihr ein paar Texte, die (bisher) niemand wollte. Auch wenn ich nicht ganz verstehe, warum. Vielleicht kann es mir jemand sagen. 🙂 Aber seid nicht zu gemein!
https://dajoko.wordpress.com/schreibtest-unreleased/
1.:
Wenn Mobiltelefone diskriminieren
Gestatten: Mobiltelefone in ungewöhnlicher Mission. Die Texteingabehilfe T-9 ist an sich eine sehr gute Sache. Sie erleichtert die Eingabe von Textnachrichten immens. Der Benutzer spart Zeit. Es kann aber ganz anders kommen. Denn das Wörterbuch von zahlreichen Handys hält für seinen Benutzer eine unangenehme Überraschung bereit.
Dieser Umstand kann äußerst unangenehme Folgen haben. Gedankenexperiment: Sie wollen eine Nachricht an einen guten Freund senden. Eine Annahme setzt voraus, dass dieser Freund homosexuell ist. Das ist bis zu diesem Punkt nicht weiter ungewöhnlich. Schätzungen zufolge trifft es nämlich auf etwa zehn bis 15 Prozent der Weltbevölkerung zu. Zurück zum Freund, Sie beginnen ihm eine SMS zu schreiben. Aber Vorsicht! Es könnte ganz ungewollt zum plötzlichen Ende der Freundschaft führen. Und zwar sobald sie versuchen das Wort „Schwuler“ zu verwenden. Politisch korrekt – keine Frage. Aber: Das vom US-Amerikanischen Unternehmen Nuance programmierte T9-Wörterbuch kennt dieses Wort nicht. Nuance beliefert die meisten Hersteller mit dieser Software. Zunächst ist das Fehlen nicht weiter schlimm. Höchstens ein wenig ärgerlich. Mit der „Buchstabe-für-Buchstabe-Tippweise“ lässt es sich selbstverständlich schreiben.
Es kommt jedoch ganz anders. Versuchen Sie „Schwuchtel“ zu schreiben, man sollte es kaum glaube, Ihr Handy kennt dieses Wort. Schon ist es dahin mit der Korrektheit, jetzt diskriminiert Ihr Mobiltelefon! So schnell kann es gehen. Ein Wort, das – wenn überhaupt – nur zum untersten Niveau des Wortschatzes pubertierender Jugendlicher gehört, stellt Nuance standardmäßig ein. Dadurch ist es in nahezu allen Mobiltelefonen vorhanden. Besonders elegant ist das nicht! Wo bleibt da die Empathie? Die einzige Ausnahme bildet das vom kanadischen Unternehmen Research In Motion (RIM) entwickelte Blackberry. Es schreibt „schwul“ problemlos, das Schimpfwort hingegen kennt es nicht. So sollte es sein! Das einseitige Angebot im Wörterbuch fast aller Mobiltelefone steht in einem nahezu grotesken Verhältnis zu den Zielen der Weltunternehmen LG, Nokia, Samsung und Sony Ericsson, die insgesamt rund 300 000 Mitarbeiter beschäftigen – statistisch gesehen also auch mindestens 30 000 Homosexuelle.
Unterlassung oder Schmerzensgeld
Mit dem ethisch und moralisch einwandfreien Bild, das sich dem Betrachter der Unternehmenshomepages zeigt, passt das zusammen wie Feuer und Eis. In der Rubrik „Unternehmenskodex“ steht bei Sony Ericsson zu lesen: „Seit Beginn der Unternehmensgeschichte von Sony Ericsson im Jahr 2001 gilt in unserem Unternehmen ein Kodex zur sozialen Verantwortung. Dieser Kodex hilft Mitarbeitern, die ethisch richtigen Entscheidungen zu treffen, die zur Erfüllung ihrer täglichen Pflichten im Rahmen ihrer Stellung erforderlich sind.“ Offensichtlich ist jedoch eine inkorrekte Entscheidung getroffen worden, als es um die Verwendung des Wörterbuchs von Nuance ging.
Auch LG rühmt sich mit seinem „ethische Credo“: „Bei der Verfolgung unseres Zieles (…) auf der Basis von Kooperation und gegenseitigem Vertrauen. Zu diesem Zwecke haben wir, die Mitarbeiter von LG, unser ethisches Credo als Maßstab für unsere Wertentscheidungen und Handeln formuliert, und versprechen dem vorliegenden ethischen Credo zu folgen.“ Das klingt wunderbar. Aber, aber: Warum können auch die Mobiltelefone von LG „Schwuchtel“ schreiben?
Nahezu obskur mutet all das an, wenn man einen Blick auf die Ziele des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) aus dem Jahr 2006 wirft. Denn es handelt sich sogar um eine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung, die unter § 19 Abs. 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz AGG fällt. Die Betroffenen könnten auf Unterlassung und auf Schmerzensgeld klagen. Bedingungslos zutreffend erweist sich § 3 Abs. 3 AGG. Dieser besagt, dass Belästigungen als Benachteiligungen wegen eines Diskriminierungsmerkmals gelten, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem der Diskriminierungsmerkmale in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt (…) wird. Aus der Verwendung des Wortes „Schwuchtel“ ergibt sich apodiktisch ein Angriff auf die Würde des Einzelnen auf Grund seiner sexuellen Identität. Zweifellos impliziert das Angebot dieses Wortes in der Eingabehilfe nämlich dessen Verwendung.
Der „Duden“ kennt in seiner 25. Auflage (Dudenverlag 2009) beide Wörter. „Schwule(r)“ und „Schwuchtel“, weist jedoch bei letzterem ausdrücklich auf dessen „saloppe und abwertende“ Bedeutung hin. Ein gelungenes Beispiel!
Stellt sich die Frage, warum das passieren konnte? Die einzige Antwort auf diese Frage hätte eine klare Distanzierung sein dürfen. Susanne Burgdorf, Pressesprecherin von Sony Ericsson Deutschland, bemühte sich um Verbesserung: „Vielen Dank für den Hinweis. Wir werden die Informationen an unsere Entwickler weiterleiten mit der Bitte um Lösungsvorschläge.“ Nuance hingegen war bedauerlicherweise zu keiner Stellungnahme bereit. Eine inkonsequente Reaktion, die sich als äußerst respektlos erweist.
Bleibt abzuwarten, was passiert. Ob das Wort tatsächlich verschwindet? Die vergleichsweise harmlosen Schimpfworte Idiot und Penner erkennt das „Nuance T-9“ übrigens auch. Da kann nur an den gesunden Menschenverstand appelliert werden: Ignorieren und nicht verwenden! Denn: Besitzer haften für ihre Handys.
David J. Köndgen, 24-07-2009